Miguel Urioste, wissenschaftlicher Forscher der Fundacion TIERRA, La Paz, Bolivien
Die Soja-Anbaufläche in Brasilien umfasste im letzten Jahr 30 Mio Hektar (ein Rekord von 100 Mio geernteten metrischen Tonnen) und wetteifert mit den USA um den ersten Platz unter den Weltproduzenten. Ihnen folgt Argentinien mit etwas mehr als 20 Mio Hektar, danach kommt Paraguay mit 4 Mio Hektar, Bolivien mit 1 Mio Hektar und schliesslich Uruguay mit einer halben Mio Hektar. Lateinamerika ist mit Abstand der führende Sojaproduzent der Welt und die Tendenz ist rapide steigend, dort wo geeignetes Land dafür zur Verfügung steht. Der Bundesstaat Mato Grosso grenzt an das Departament Santa Cruz und entspricht fast der Grösse ganz Boliviens. Es ist das Herz des Soja-Anbaus Brasiliens und trägt fast 30 % des gesamten Soja-Anbaus des Landes bei. Seine Hauptstadt Cuiabá ist eine kleine Stadt mit einer halben Mio Einwohnern, ein Teil des mehr als 3 Mio Einwohner zählenden Bundesstaates. Blairo Maggi, der Soja-König, führt den brasilianischen Agrar-Sektor an. Er war Gouverneur des Bundesstaates Mato Grosso und ist heute ein mächtiger Senator. Laut FORBES beträgt sein Vermögen 1,15 Billionen US Dollar. Vor einigen Jahren hatte der frühere Präsident Lula da Silva ihn mit nach Kuba genommen um die Kubanern bei der Verbesserung ihrer Landwirtschaft zu unterstützen. Vor Kurzem verlautete Maggi, dass er der Regierung von Dilma Rousseff, der er selbst angehörte, seine Unterstützung entzieht, weil die brasilianische Wirtschaft stagniert. Mato Grosso bedeutet auf Portugiesisch dichter Wald und beruht auf der ursprünglichen Übersetzung aus der Sprache des indigenen Volkes der Guarani. Der Bundesstaat Mato Grosso steht heute an erster Stelle bei der Entwaldung des Amazonasgebietes.
Boliviens Soja-Produktion stellt 0,9% der Weltproduktion dar und ist in diesem Zusammenhang unbedeutend. Trotzdem ist der Soja-Anbau im Rahmen unseres geringen Wirtschaftsvolumens relevant für das Land. Laut dem "Verein der Produktoren für Ölfrüchte und Weizen" (Asociación de Productores de Oleaginosas y Trigo – ANAPO) bringt der Soja-Komplex Exporte in Höhe von mehr als 1.300 Mio US $ jährlich ein, die besonders in die Länder der Andengemeinschaft (Comunidad Andina de Naciones – CAN) gehen, und die Produktionskette liefert vielfältige Nährmittel für das Land. Aus der Soja-Bohne werden Mehl, Öl und Soja-Kuchen sowohl für den menschlichen Konsum als auch für Hühner- und Schweine-Futter hergestellt, die bei weitem den internen Bedarf für diese Produkte und Nahrungsmitttel übersteigen. Die Logik besteht darin, dass nun mehr Fleisch und Milch für das Volk zur Verfügung steht, weil es mehr Soja gibt. Trotzdem stagniert die Soja-Produktion in Bolivien praktisch seit 7 Jahren bei 1 Mio Hektar, seitdem es zu den schweren Konflikten der regionalen Unabhängigkeitsbewegungen kam und über die Zustimmung für eine neue Verfassung debattiert wurde. Seitdem pochen die Produzenten auf volle juristische Absicherung, den Einsatz von genetisch modifiziertem Saatgut auf weitere Anbauprodukte (zusätzlich der Soja) auszuweiten, freien Export, bessere Infrastruktur für den Transport und weniger Einschränkungen der "Behörde für Wälder und ländliche Räume" (Autoridad de Bosques y Tierras – ABT) bei Waldrodungen um die Agrar-Front auszuweiten zu können. Einem Teil dieser Forderungen wurde auf dem Agrar-Gipfel im April diesen Jahres stattgegeben.
Die Agenda 2025, die die Regierung erarbeitet hat, hält die ehrgeizigen Ziele einer raschen Ausweitunge der Agrarflächen auf 10 Mio Hektar bis zum Jahre 2025 in Bolivien fest, die bisher nur 3 Mio Hektar betragen. Auf dem vergangenen Gipfel waren die Produzenten realistischer und bescheidener als die Regierung. Sie glauben, dass diese Ziele nicht eingehalten werden können, und dass die aktuelle Soja-Front sich innerhalb von 10 Jahren auf 2 Mio Hektar ausweiten könnte, wenn die Regierung ihre Versprechen einhält.
Vor ca. 2 Wochen teilte der Präsident selbst mit, dass er ein Dutzend Dekret- und Gesetzesvorlagen auf den Weg gebracht hat, über die mit den Unternehmern verhandelt werden soll, und die die erreichten Teil-Abkommen subsumieren. Bisher sind die endgültigen Texte dieser Normen noch nicht bekannt.
Alles Vorhergehende hat mit der Agrar-Gegenreform zu tun, die vor 6 Jahren im Geheimen in Bewegung gesetzt wurde. Das wichtigste Zugeständnis zum Agro-Business, das die Regierung von Evo Morales zum Zeitpunkt der Verfassungsverhandlungen gemacht hat, dem das Parlament zugestimmt hat und das schliesslich durch das Referendum bestätigt wurde, war die Frage bzgl. der maximalen Grösse des landwirtschaftlichen Grundbesitzes. Mit überwältigender Mehrheit gewann die maximale Grösse von 5000 Hektar. Zum Zeitpunkt des Referendums wurde allerdings nicht mitgeteilt, dass das Gesetz nicht rückwirkend angewendet wird und dass die neue Verfassung einen assoziativen Grossgrundbesitz mittels der Bildung von Unternehmen mit unbeschränkter Mitgliederzahl bewerkstelligte, von denen jeder 5000 Hektar besass. Die Bauern und Indigenen wissen dies nicht, sie sind sich dieser Falle nicht bewusst.
Das Produktionsabkommen zwischen den Agrarunternehmen und der Regierung, das sich in der letzten Zeit gebildet hatte, hat ein klares Ziel: Bolivien soll mittelfristig Teil der weltführenden Liga der Soja-Produzenten sein, mit dem Vorbild von Paraguay im letzten Jahrzehnt, wenngleich die äusserst hohen sozialen und Umweltkosten, die das Nachbarland hatte, reduziert werden sollten: diese bedeuteten 1 Mio vertriebene Bauern und 6 Mio Hektar gerodeter Wald.
Weltführende Soja-Produzenten haben ihren Blick auf Bolivien gerichtet. Sie wissen, dass es hier grossflächige amazonische Wälder gibt, die sich in Land für Land- und Viehwirtschaft wandeln können. Aber sie wissen auch, dass die ausländischen Investitionen keine Garantien geniessen und dass es sehr riskant ist im Kontext eines "Wandlungsprozesses" in Landwirtschaft zu investieren. Sie wissen, dass es indigene Bewegungen gibt, die ihr Territorium und ihre Lebensweise in diesen Wäldern verteidigen werden.
Papst Franziskus und Evo Morales nahmen gemeinsam am Weltsozialgipfel sowie an der Verlesung der Schlussfolgerungen zum Ende des Gipfels in Santa Cruz teil. Bleiben die warmherzigen Beifallsbekundungen der mehr als tausend Delegierten aus der ganzen Welt zu den Schlusspunkten, die ausdrücklich Agrobusiness, Abholzung und Nutzung von genetisch modifizierten Saatgut verurteilen, nur eine Erinnerung? Die Geschichte wird uns zeigen, ob mit den Ergebnissen des Agrargipfels die Parameter für eine rasche, mit der landwirtschaftlichen Ausbeutung verbundene Ausweitung des kapitalistischen Akkumulationsmodells eingerichtet worden sind, oder nicht.
Veröffentlicht am Sonntag, 02. August 2015 in PaginaSiete, La Paz, Bolivien